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A Madame Nielsen Evening

Presse:

https://www.deutschlandfunkkultur.de/daenische-kuenstlerin-madame-nielsen-hinter-rechtsextreme.1270.de.html?dram:article_id=43343

1https://www.tagesspiegel.de/berlin/madame-nielsen-im-literaturhaus-berlin-vielleicht-werde-ich-mal-ein-reiher/23619890.html

http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/daenische-kuenstlerin-madame-nielsen-ueber-die-neue-rechte-15884321.htmlhttp://www.3sat.de/mediathek/?mode=play&obj=77260

http://www.3sat.de/mediathek/?mode=play&obj=77260

 

 

„Nach jedem Stück zu Hause ein Glas Wein oder Likörchen und eine Kerze kommt auf den Tisch, egal wie spät es ist!“

In der Tanzszene Berlins kennt sie jede*r: die kleine, gehbehinderte Frau mit dem auffälligen Kleidungsstil und den Mann mit dem Vokuhila Haarschnitt- Korinna und Jörg haben seit dem Fall der Mauer bis zu 4000 Tanzstücke in Berlin gesehen. Die Sophiensaele haben unter der Regie von Laurie Young ein Stück über sie entwickelt und sie selbst beschreiben Tanz als ihre Berufung.

In einem wuseligen Café in Berlin Mitte, habe ich die beiden zu einem Gespräch über die Berliner Tanzsszene getroffen. 

Zuerst zu Ihnen und zu Ihrer Biografie: Woher kommt dieses großes Interesse für zeitgenössischen Tanz und wie kam es, dass Sie zu dem geheimen Kritiker*innenpärchen und zu den hingebungsvollsten Zuschauer*innen der Tanzszene Berlins geworden sind?

K: Das hat sich nach der Wende einfach so ergeben: Das erste Tanztheaterstück, das wir gesehen haben, war in der Osloer Fabrik gewesen von einer japanischen Butohgruppe, die Tatoeba mit Yumiko hieß. Davor hatten wir immer nur Revuen beispielsweise im Friedrichstadtpalast gesehen. Da mussten wir uns erst mal erkundigen, was Tanztheater überhaupt ist, ob nun Tanz oder Theater. Wir haben dann da angerufen und uns aufklären lassen.

J: Und dann waren wir so begeistert, dass wir dabei geblieben sind.

K: Ich habe den Jörg vielleicht ein bisschen angesteckt. Am Anfang sind wir immer nur einmal zu jeder Spielstätte gegangen, aber dann hätten wir jetzt nichts mehr und wären schon lange durch. Dann sind wir öfters gegangen und haben begonnen Arbeiten von bekannten Choreografen zu sehen – auf diese Weise sind wir dem Tanz näher gekommen.

Ich habe gesehen, dass sie sich jede Woche ein straffes Programm vornehmen – wie viele Stücke sehen Sie in einer Woche?

K: Wenn es eine Tanzveranstaltung gibt, die uns anspricht, dann gehen wir immer alle zwei Tage. Zwischen jeder Veranstaltung machen wir immer einen Tag Pause.

Jede Woche wird das Programm an Hand des Kulturteils in der Morgenpost entschieden immer von Donnerstag bis Mittwoch und wenn das Programm nichts hergibt, muss Jörg den Wocheneinkauf machen. (lacht)

J: Von 1990 bis 2016 waren das ca. 4000 Veranstaltungen in 26 Jahren – jetzt sind wir inzwischen im 27. Jahr, also können Sie noch ein paar hundert dazurechnen.

K: Wir gehen sehr viel, aber wir gucken jedes Stück nur einmal!

Wahnsinn! Wie sind denn Ihre Beobachtungen, hat sich seit der Wende in der Berliner Tanzszene viel verändert?

K: Heutzutage findet viel ohne Sitzplätze statt, was ich persönlich nicht so gut finde. Und es gibt viel mehr Berührung und Interaktion mit dem Publikum. Neuerdings ist es auch sehr modern, diese Mammutstücke aufzuführen, die dann sechs Stunden oder länger gehen, von Boris Charmatz beispielsweise. Darauf haben wir dann, obwohl wir Karten hatten, verzichtet. Bei uns bedeutet es auch immer sehr viel Weg aus Marzahn überall hinzukommen.

Wie sehen Sie die aktuellen Entwicklungen in der Berliner Tanz- und Theaterszene mit der Ablösung der Volksbühne, der Intendanz von Chris Dercon und der neuen Spielstätte am Tempelhofer Feld?

K: Mehr Tanz ist immer gut, aber es kommt auch auf das Format an. Auch die kleinen Spielstätte zeigen häufig gute Sachen. Viele setzen ja immer auf große Festivals, aber das muss gar nicht sein. Welche Formate uns nicht so sehr interessieren, sind Arbeiten im ‘Work in progress’ – uns gefällt es besser, wenn die Arbeiten abgeschlossen sind. Was auch immer sehr interessant sein kann, sind Arbeiten mit politischen Hintergrund oder die Thematisierung von Behinderung oder wenn Menschen mit Behinderung auf der Bühne stehen, die Behinderung als solche aber nicht im Zentrum steht und die Menschen sich etwas trauen.

Sehr gut finden wir es, wenn moderner Tanz mit klassischer Musik kombiniert wird. Und das klassische Ballett aufgebrochen wird.

J: Aber nicht zu sehr!

K: Nein, nicht zu sehr – Hauptsache die Körperlichkeit ist gegeben (lacht)

Wichtig ist, dass man nicht versucht etwas zu zeigen, was es noch nie gegeben hat und einem Effekt hinterherrennt. Manchmal wirkt es dann ein bisschen verkrampft. Aber es darf auch abstrakt sein, ich muss beim Tanz nicht immer die Antwort finden, in dem was ich sehe.

Sie haben ja bereits mehrmals an dem Nordwind Festival teilgenommen. Was erwarten Sie von der diesjährigen Nordwindausgabe?

J: Das eine Mal war eine Vorstellung vom Nordwind Festival im Wald, das war für uns katastrophal. Da kamen wir mit dem Bus dahin und das andere Publikum musste dann noch zwanzig Minuten bis zur Spielstätte laufen. Ricarda Ciontos hatte sich dann noch bemüht und uns ein Auto besorgt, aber wir mussten trotzdem kreuz und quer durch den Wald laufen, über Stock und Stein. Hin ging es noch, aber zurück war es stockdunkel. Und dann sind die Leute mit Stabtaschenlampen vor und hinter uns gelaufen, damit wir heil ankommen.

K: Generell finde ich nordische Produktionen sehr interessant, die häufig eine Verbindung zur Natur haben. Das ist vielleicht auch ein bisschen Klischee behaftet, aber häufig ist es eine etwas andere Ästhetik, die man sonst nicht so sieht.

Dieses Jahr werden in der Nordwind Ausgabe erstmals nicht nur Künstler*innen aus dem nordischen Raum ihre Arbeiten präsentieren, sondern auch Künstler*innen aus afrikanischen Ländern, wie sehen sie diese Öffnung des Nordwind Festivals?

K: Ich finde es sehr wichtig, dass man den Kern des Festivals, also den Fokus auf den Norden nicht verliert. Internationale Festivals gibt es in Berlin schon sehr viele.

Wenn sie schon so viele Stücke gesehen haben, aber jedes Stück nur einmal sehen – inwiefern dokumentieren sie ihre Seherfahrungen?

J: Wir notieren uns die Uhrzeit, den Spielort, den Choreografen und den Namen des Stücks.

Und das seit 26 Jahren. Wir heben auch alle Abendprogramme und Zeitungsartikel auf.

K: Und es gibt nach jedem Stück zu Hause ein Glas Wein oder Likörchen und eine Kerze kommt auf den Tisch, egal wie spät es ist! Manchmal sehen wir auch zwei Stücke am Tag an, wenn wir es schaffen. Wir glühen und brennen für den Tanz. Der Tanz gehört zu unserem Leben, wie die Luft zum Atmen. Wenn Sommerloch ist, geht es uns nicht gut, dann fehlt uns etwas.

Wir muss ich mir das vorstellen, sie haben einen riesigen Schrank zu Hause in dem dann alles archiviert ist?

K: Naja, es könnte noch ein bisschen ordentlicher sein (lacht). Wir stapeln das alles und leider ist es auch manchmal runtergekommen und dann ist natürlich Chaos.

Die Tanzszene ist ja für uns wie eine kleine Familie – die Tanzfamilie und die meisten sagen auch, dass uns das zusteht. Viele Choreografen und Tänzer sind mit uns älter geworden und wir haben viele Spielstätten kommen und gehen sehen.

Und könnten Sie sich vorstellen einmal selbst zu tanzen oder selbst als Tänzerin auf der Bühne zu stehen?

K: Selber Tanzen nicht, aber für den Tanz schreiben, dass würde mich interessieren. Und mein großer Traum ist es, mal selber ein Stück zu choreografieren. Aber viele sagen, das sei dann zu biografisch. Ich würde gerne Behindertenpolitik und Kulturpolitik in einem Tanzstück verbinden.

 

Nordwind 2011 Nordwind 2013
Nordwind 2011 Nordwind 2013
Urban Species 2014 Nordwind 2015
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